Seit 2 Tagen fühle ich mich nutzlos! Oder wie soll man den Zustand der totalen Hilflosigkeit bezeichnen, wenn Highländer neben dir in Ekstase am Auto schraubt und man selbst wie ein Ochs vorm Berg steht?
Nachdem wir unser Auto aus der Werkstatt in Piriapolis abgeholt hatten, zeichnete sich schon eine leichte „In-Gang-kommen“-Schwäche auf. Ein Phänomen, welches man aus den Morgenstunden kennt, beim Auto aber weitaus schwerwiegendere Auswirkungen haben kann. „Nicht in die Pötte kommen“ kann bei unserem Bigfoot auch bedeuten, dass die zwei Batterien, vom langen rumstehen, ihren Geist aufgeben. Und wie befürchtet müssen wir nach der ersten Nacht im Camper Energie überbrücken und der geplante Tag in Montevideo gestaltet sich dann anders als gedacht.
Es zeigt sich wieder: diese Art zu leben ist einfacher zu genießen, wenn man es etwas planloser angeht. Ich hatte mich ja bereits darin geübt keine Pläne für das ganze Jahr zu machen, aber man wird sich doch noch Gedanken über die nächsten 8 stunden machen dürfen, oder? Okay, auch hier bin ich lernfähig: Go with the flow. Ich lass in Zukunft einfach alles auf mich zukommen. Eine anstrengende Lektion.
Unser 2. Tag in Montevideo:
Ein sehr charmanter äußerst hilfsbereiter Mann, Typ „Alles-Könner“ und „Jeden-Kenner“. Der Schein des schlichten Einfamilienhauses trügt, verbirgt sich dahinter doch eine komplette Werkstatt und eine 80 qm große Lagerfläche. Julio ist u.a. Camper-Ausbauer und was auch immer du für ein Problem haben solltest: Julio te ayuda. Von ihm werden wir zum Solar Panel Shop geschickt, zur Batterie-Werkstatt und zum Holzhändler. Er selbst fährt ein sehr liebevoll restaurierten italienischen Leoncino aus den 60er Jahren.
Wo gibt es denn sowas noch heutzutage? Die Mechaniker überprüfen die Batterien und obwohl für intakt befunden, wollen sie von einem Freund lieber noch eine zweite Meinung einholen. Der Kumpel kommt auch noch allen Ernstes innerhalb von 2 Minuten, drischt mit einem Hammer auf die Lichtmaschine ein und stellt fest (dann zu unserer Erleichterung mit einem Messgerät), dass diese kaputt ist, da sie die Batterien nicht auflädt. „Kostenloser Service für Euch, weil ihr auf der Reise seid“ erklärt uns der Sohn von Juan mit einem ehrlichen Handschlag und schickt uns zu einem weiteren Freund 2 Minuten ums Eck. „Muchas gracias“ können die Kinder schon erwidern.
Hier wird uns sogar noch am Freitagnachmittag geholfen. Nach 3 Stunden und einer kleinen Spanisch Lektion in technischen Begriffen, haben Joselo und Leonardo das Problem auf ihre eigene und sehr unkomplizierte Art gelöst. Es funktioniert. Es ist günstig. An Stefans Augen habe ich ablesen können, dass er alles in seiner internen „How-to-Reparatur-Wissens-Bibliothek“ gespeichert hat. Um 21 Uhr rollen wir erleichtert und mit Enid Blytons „5 Freunde“ auf dem Camp ein.
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an die unglaublich netten und hilfsbereiten „Uruguaschos“. Auch wenn für uns Deutschen das gefühlte „kommste heut nicht, kommste morgen“ manches Mal gewöhnungsbedürftig ist, so hat uns die Südamerikanische Spontanität und Offenheit in den letzten Tagen den holprigen Start sehr erleichtert.
Hatte ich vom „Fluch oder Segen“ des reisen mit Kindern gesprochen? Eindeutig ein Segen. Luis und Felix öffnen für uns die Herzen und Türen. Ich verspreche, hier an dieser Stelle hoch und heilig, in Zukunft etwas milder mit den Kindern zu sein. Ein kurzes generöses Nicken werden sie von mir bekommen, wenn sie das nächste Mal schon morgens vor dem Frühstück eine zuckersüße Zitronenwaffel essen wollen. Zufriedene Kinder sind schlicht und ergreifend eine gute Investition.
Und jetzt nach 2 Tagen auf dem Camp, hat Stefan ein Solarpaneel auf dem Dach montiert, einen Solarladeregler sowie die dazu passende Batterie eingebaut, die Boardelektronik überholt, eine Rückfahrkamera montiert, eine Ladestation für unsere Ipads, -pods und -phone´s geschaffen und einiges mehr.
Da ich von all dem keine Ahnung habe und mich darüber hinaus auch noch gerne über das ganze „scheiß-technische-Equipment“ aufrege, sitze ich nun hier und habe ein schlechtes Gewissen und fühle mich nutzlos. So wie vor 20 Jahren als mir klar wurde, dass ich mit meiner Werbeausbildung am anderen Ende der Welt zu nix zu gebrauchen bin. Okay, ich habe meine Meinung schnell wieder revidiert, aber irgendwie bewundere ich trotzdem die „Technik-Alles-Könner“.
Ankommen, am Pick-up basteln, Kabine beladen, losfahren – „Rio wir kommen“ … war unsere Vorstellung wie die Reise nach ein paar Akklimatisierungstagen starten sollte.
De Facto sitzen wir noch immer in unserer Holzhütte, im von Donner und Blitz umkämpften Paraiso Suizo. Ein Campground direkt am Meer gelegen, ca. 1 Stunde nördlich von Montevideo. Naturgewalten, wie sie in Oberbayern nicht heftiger sein könnten, haben uns die ein oder andere Nacht (zum Glück im Trockenen) senkrecht im Bett sitzen lassen. Hier ist Winter und das lässt uns Uruguay, obwohl sehr warm, deutlich spüren.
Wir wären auf dem falschen Kontinent in falscher Mission, wenn allein das Wetter unsere Euphorie schon vertreiben könnte.
„6 Liter Öl soll laut Handbuch in dem Motor sein?“ fragt der Mechaniker in Piriapolis und zeigt uns seinen 15 Liter vollen Eimer mit Altöl. Die noch fehlenden 9 Liter fallen neben den anderen 40 ausgetauschten Litern Öl nicht ins Gewicht.
Pünktlich wie die Deutschen stehen wir 2 Stunden später wieder in freudiger Erwartung bei den „Dos Hermanos“ vor der Garage. Ein letzter Blick über die Schulter des Mechanikers, das letzte Rad ist dran, gleich ist Bigfoot fertig und dann …. das Radlager eiert.
Fazit nach genauerer Untersuchung: das Radlager muss ausgetauscht werden. Weiterfahrt unmöglich! Weil das Auto aber aus Nordamerika stammt, kann „Marcelo“ (einer der Dos Hermanos) das Ersatzteil nicht vor Ort bekommen. Ernüchtert kehren wir mit dem Linienbus zum Camp zurück und ersaufen die nun zum Winter passende Stimmung.
Nach einem Tag Recherche steht fest: wir müssen das Ersatzteil aus den USA kommen lassen. Zum Glück lebt mein Bruder in San Francisco und kann uns über Amazon das 12 Kilo schwere Teil bestellen und per Fedex zuschicken. Ein Aufwand, den wir uns gerne zeitlich und budgetär erspart hätten.
Natürlich haben wir mit „aussergewöhnlichen Aufwendungen“ gerechnet, aber nicht direkt in der ersten Woche. Und die Moral von der Geschicht: noch nie haben wir so viel gemeinsam gewürfelt, gemalt, gebastelt, Schach gespielt und im Regen Sandburgen gebaut.
Der erste Morgen in Uruguay und unsere Gedanken gelten Euch. Ganz lieben Dank für die herzlichen Wünsche, die schönen Abschiedsgespräche, -abende und -geschenke. Es bedeutet uns sehr viel zu wissen, dass ihr an uns denkt. Die eine oder andere Träne habe ich mit Luis zusammen vergossen. Ein großes Geschenk, weil wir uns so auch auf die Rückkehr freuen können.
Unterwegs zu sein mit kleinen Kindern hat in allen Belangen eine andere Qualität als zu Zweit. Wie überall auf der Welt begegnet man uns mit einem freundlichen Lächeln und Felix und Luis antworten mit einem netten „bonjour“, „hello“ und mittlerweile mit einem „hola“. An dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an die bildhübschen Air France Stewardessen, die sich wirklich aussergewöhnlich hilfreich und charmant gezeigt und damit die ca. 19 Stunden Reise sehr erträglich gemacht haben.
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