Wenn auf der einen Seite eine Tür zugeht, dann geht woanders wieder eine auf.
… Natürlich haben wir Ponchos Cousine in Punta Arenas besucht…
Sie und und ihr Mann Jorge erzählten uns von ihrer Tochter Josephina, die grad geheiratet hatte und deren Mann John, ein Farmer aus Feuerland, sich unglücklicherweise kurz vor der Hochzeit durch einen Reitunfall mehrere Rückenwirbel gebrochen hatte. Johns Vater verstarb dazu auch noch kurz vor der Hochzeit. Ihre Hochzeitsreise nach Europa mussten sie absagen.
Ihre Tochter Josephina war nun zeitweise Chefin von 3 großen Schaffarmen mit tausenden von Tieren, 5 Arbeitern und jeder Menge Arbeit in Feuerland, da John zur Reha in Punta Arenas bleiben musste. Die Farmen liegen mehrere Stunden entfernt vom Festland. Wir haben nicht lange überlegt und unsere Hilfe angeboten. Und es für keine Sekunde bereut.
Aber wir hatten auch keine Ahnung was uns dort erwartet.
Um die Dimensionen der Farmen etwas besser zu verdeutlichen: 1 Schaf braucht 1 Hektar Grund zum Leben. Hat man 12.000 Schafe wie John & Jose, braucht man dementsprechende Mengen Hektar. Wenn im Winter das Gras schlechter wird, benötigt man eine zweite Farm in einer anderen Gegend, wo das Gras noch saftiger ist.
Um die Schafe dorthin zu treiben braucht man pro Schaftrieb mind. 3 Arbeiter, 11 Hunde, 2 Tage und Nerven. Und Logistik, um die Arbeiter in ihrer Wellblechhütte, in der sie bei lausigem Wetter übernachten, zu verpflegen: Holz fürs Feuer, Axt, Frischwasser, Kessel zum kochen, Fleisch, Mate, Matratzen, Schlafsäcke, Regenzeug, Futter für die Hunde…. ich möchte mir nicht vorstellen wie das früher funktioniert hat. So gibt es zu jedem „areo“ (Schaftrieb) auch ein Begleit-Pick-up, der vor allem die heuanrauschenden LKW´s stoppt. Rechts und links ist nicht umsonst ein 50-100 Meter breiter Streifen neben der Strasse. Was die Arbeiter da mit ihren Hunden an „Choreografie“ veranstalten ist wirklich beeindruckend. Durch Pfiffe und Rufe angeleitet treiben sie die Herde mit Ruhe durch die Morgenstunden.
Unsere Helden: Maximilian, Ivan und Julio leben bereits seit 20-30 Jahren auf der Farm. Sie haben John schon als Baby erlebt. Sie bilden die unabdingliche Grundlage für das Funktionieren der Farm. Sie wissen, welche Arbeiten wann erledigt werden müssen. Stehen bei jeder Wetterlage parat. Loyale Partner, die mit wenigen Worten, aber mit viel Stolz dieses Leben meistern. Mervin ist ein Springer, ursprünglich aus Futualefu, der nur temporär auf die Farm kommt. Ihre Charakteren haben uns inspiriert.
Der Tag der Arbeiter beginnt morgens um 8 Uhr. Kleiner Mate Tee und raus zur Arbeit.
10 Uhr Frühstück: Sopapilla (frittierter Brotteig) mit Cafe/Tee.
Weiter Arbeiten. 12 Uhr Mittagessen. Weiter Arbeiten. 16 Uhr Nachmittagssnack. Weiter Arbeiten. 19 Uhr Abendessen.
Um die Arbeiter jeden Tag zu ernähren wird alle 3-4 Tage ein Schaf geschlachtet.
Wobei bei dem Wort „Schaf“ folgende Unterteilung wichtig ist: Oveja, Carnero, Cordero – Wollschaf, Fleischschaf, Lamm (Jungschaf). Wobei das Lamm nicht das kleine weiße Babylamm ist, dass wir in unserer Vorstellung hatten, sondern ein fast ausgewachsenes Schaf, nur noch jünger.
Der Vater von John hat schon früh eine sehr feine Merinoart gezüchtet, was ihm einen über die Insel hinaus guten Ruf beschert hat. Der Unterschied, wenn man ihn kennt ist nach einigen Tagen, auch für uns erkennbar. Andere Farmen züchten u.a. das „Multipurpose“-Schaf, dass sowohl für Fleisch als auch für Wolle gehalten wird.
Um die Schafe komplett zu scheren braucht man professionelle Scherer, die von Farm zu Farm ziehen und im Akkord hunderte von Schafe am Tag scheren. Ein Kraftakt für den Rücken. Im Herbst werden den Schafen dann nur noch Kopf, Po oder Sack geschoren. „Hält die Eiszapfen davon ab in die Augen zu hängen und erleichtert dem Bock und dem weiblichen Schaf unkompliziert sich zu decken“…. Wie soll man sich auch sonst bei all der Wolle zurecht finden….
Zu diesen Scher-Stoßzeiten leben bis zu 25 Arbeiter auf der Farm und es werden ca. 2 Schafe am Tag geschlachtet.
Die ersten Tage haben wir alleine auf der Farm mit den Arbeitern verbracht und so einer Schlachtung beigewohnt.
Bis zu diesem Zeitpunkt leben die Schafe recht unbescholten auf den Weiden. Mithilfe der Hunde werden sie zusammen getrieben, ein Schaf wird ausgesucht und mit Hilfe des Pick-up zur Farm gebracht. Dort wird es per Hand von den Arbeitern getötet.
Nicht einfach zu sehen, obwohl alles sehr ruhig abgelaufen ist. Die Ruhe der Arbeiter, ihre Stimmen, die die Schafe seit langer Zeit kennen, gibt Vertrauen. Und dennoch… Wir wussten, dass wir vegetarisch bei diesem Aufenthalt nicht weit kommen werden und hatten uns gemeinsam entschlossen das Leben auf der Farm so anzunehmen wie es ist. Auch ihre Art der Ernährung. Gesünder und glücklicher kann ein Schaf nicht leben. So weit wir das beurteilen können.
Sowohl für uns, als auch für die Kinder war es wichtig bei diesem Akt dabei zu sein. Es life zu erleben. Luis und Felix haben selbst entschieden wieviel sie davon sehen wollen und haben aus den Augenwinkeln ein bisschen rübergespickt. Felix hat danach geweint. Ich habe sehr schlucken müssen.
Trotzdem. Wir sind hier Gast und meiner Meinung nach, steht es uns nicht zu, als „Ponyhof-Touristen“ her zu kommen und das Leben der Anderen zu kritisieren. Das war mir wichtig. Respektvoll zu sein und zu bleiben. Sowohl dem Leben der Menschen als auch dem der Tiere gegenüber.
Wir haben das Schaf gegessen. Es hat gut geschmeckt. Unsere Meinung zum Fleischkonsum in unserem weiteren Leben hat es jedoch nicht verändert.
Um sich die Größe dieser Farmen besser vorstellen zu können, kann man die Fläche von München als Vergleich dazu nehmen. Halb so groß wie München ist dieser Privatbesitz von John & Jose.
Abgesehen von den Weideflächen braucht man Flächen, um Alfalfa anzubauen, dass dann in Form von Heuballen die Überwinterung erleichtert. Hinzu kommen noch Flächen für Hirsche und Kühe.
Um die Flächen vom Nachbarn abzugrenzen, muss alles umzäunt werden. Diese Zäune müssen abgeritten und in Stand gehalten werden. Wenn man Pech hat, dann wohnen ganz viele Biber in der Nähe und raspeln die Holzpflöcke der Zäune ab. Sie wissen ja nicht, dass sie die Pflöcke danach nicht als Baumaterial verwenden können, weil sie mit dem Draht verbunden sind. Umsonst abgenagt! Aber für John & Jose kostet die Erneuerung sehr viel Geld & Manpower.
Hatte ich schon die Wildpferde erwähnt? Sie leben ebenfalls auf ihrem Terrain. Neben ca. 30 Hütehunden, gibt es noch 10 Katzen, 2 Welpen, 30 domestizierte Pferde, Enten, Hühner…..
Was konnten wir nun zum Leben auf der Farm beitragen?
Alles was grad angefallen ist und jeder wie er grad konnte: wir haben gekocht und Wäsche gewaschen, Lampen angebracht, ein Schuhregal gebaut, die Stromversorgung durch Solarpanel und Windrad wiederhergestellt. Wir haben die Welpen und die Katzen gefüttert, den Pferden Heu gebracht, Kruschtelecken aufgeräumt und Holz gehackt.
Für Luis und mich war der Schaftrieb beeindruckend. Wir sind einmal um 6 Uhr und einmal um 4 Uhr morgens aufgestanden und haben entweder laufend oder das Begleitfahrzeug fahrend die Herde begleitet. Das rufen der Arbeiter in der Dunkelheit, ihr Pfeifen, Rasseln und das Bellen der Hunde wird uns noch lange in Erinnerung bleiben.
Wir haben beim Scheren zugeschaut, Vitamine gespritzt und das Fell der Schafe markiert.
Mittagessen auf der Farm Maria Gloria.
Ein Highlight für mich war dem Pferdeflüsterer über die Schulter zu schauen, ein paar Tricks zu hören, wie man ein wildes Pferd sanft domestiziert und mit den Arbeitern zusammen per Pferd die Schafe zusammen zu treiben.
Bei all dieser Arbeit, wo Pferde und Schafe zu Arbeitsgeräten werden, war es gut zu sehen, dass es auch hier respektvollen Umgang gibt.
Das Jose Tierärztin ist, kommt der Farm auf alle Fälle zu Gute.
Wir haben gestaunt, gelernt, gefilmt, fotografiert…… Es hat uns irre viel Spaß gemacht so ein anderes Leben kennen zu lernen. Die Arbeiter haben uns nachhaltig beeindruckt. Wir haben ihnen aus Dank ein Geschenk für Ihr Esszimmer gemacht. Bilder, die ihre Würde, ihren Charakter und das nicht einfache Leben in ihren Gesichtern widerspiegeln. Im Mittleren Segment des Fensters gibt es auch Bilder von Antonio, dem neuen Koch. Und Ramon, der 2 Tage vor unserer Abfahrt aus dem Urlaub zurück kam. Er ist, so behauptet er, ca. 80 Jahre. Er könnte aber auch gut 90 Jahre sein. Seinen Pass hat er erst als junger Bub erhalten. Er hat mit seinem Bruder fast alle Zäune der Farm gebaut. Was für eine Wahnsinns Leistung. Er wird wahrscheinlich nicht mehr lange auf der Farm bleiben können. Es wird ihm schwer fallen.
Es gäbe noch so viel über diese Zeit zu erzählen, soviel Details und Momente, dass ich gar nicht wüsste sie alle in Worte zu fassen.
Zum Beispiel, wie sehr Luis und Felix der Aufenthalt gefallen und gut getan hat.
Wenn ich an all die Freundschaften denke, die sie geschlossen haben…
Diese zwei Welpen tragen jetzt einen Namen: Luis und Felix! Was für eine Ehre!
Neben der Hauptfarm „Tres Hermanos“ und den Estancias „Copihue“ und „Maria Gloria“ haben John & Jose weiter im Süden dann noch eine Art Nationalpark…. ich erspar mir jetzt die Beschreibung, weil es einfach unfassbar groß, weit, ruhig, unberührt und wild ist….
Wir danken Jose & John und ihren Eltern, Paula & Jorge, dass sie uns in ihre Familie mit offenen Armen aufgenommen haben. Wir werden das Leben und die Projekte von ihnen aus der Ferne weiter begleiten und uns hoffentlich irgendwann wieder sehen.
Nachdem sich der Rücken von John durch die Reha in Punta Arenas wesentlich verbessern konnte, sind die beiden nun auf ihrer wohl verdienten Hochzeitreise in Peru.
Privatmuseum von Joses Freunden in Punta Arenas
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… und Stefan hat es gemerkt…. Wie kommen wir raus aus dem Schlamassel?
Gar nicht, denn „alte Liebe rostet nicht“ und ich genieße es in vollen Zügen.
Wenn das Herz aufgeht, die Schmetterlinge fliegen, der eine oder andere Duft Erinnerungen hervorholt,
die Zunge lockerer wird ….die chilenische Lebenslust hat mich wieder voll erwischt.
„Deine Stimme hört sich ganz anders an, wenn du Spanisch sprichst“ hat mir mein Freund Poncho vor 25 Jahren in Santiago gesagt. Damals, frisch aus der Schule kommend, 1 Jahr auf Entdeckungstour in Chile. In dieser Zeit hat sich eine kleine Liebe in mein Herz eingenistet. Ich bin damals nicht viel gereist. War hauptsächlich in der Mitte Chiles unterwegs und habe das normale chilenische Leben aufgesaugt. Das hat mir gut getan.
Nach 11 Jahren bin ich zurückgekehrt, um mir den Traum eines Besuches auf der Osterinsel zu erfüllen. Heute 25 Jahre später, bin ich mit meiner Familie zurückgekommen, um mehr vom Land kennen zu lernen und die kleine Liebe wiederaufleben und meine Lieben daran teilhaben zu lassen. Und es hat uns wie ein Knall erwischt.
Anfänglich ganz banal mit 2 Stunden Zeitunterschied, der uns aber in unserem Rhythmus, von Peru kommend, völlig durch einander gewirbelt hat. Die Chilenen sind nicht so zurückhaltend wie die Bolivianer oder Peruaner aus den Anden. Sie sind aber genauso gastfreundlich. Gastfreundlichkeit sagt man ja vielen Ländern nach. Vielleicht ist man auf Reisen empfänglicher für Nettigkeiten? Für ein wohlgemeintes Lächeln oder für eine helfende Hand? Vielleicht ist man selbst auch netter, weil entspannter unterwegs! Ist Deutschland nicht auch gastfreundlich? Die Definition von Gastfreundlichkeit ist für jeden vermutlich unterschiedlich. Das wäre jetzt ein Kapitel für sich…
Wir sind bestimmt nicht die Art von Reisenden, die überall schnell „dickste“ Freunde machen. Wir wollen unsere Leichtigkeit, unsere Flexibilität, die wir auf dieser Reise mit dem Auto haben, behalten. Deswegen haben wir uns auch in den ersten Monaten der Reise mehr um uns gekümmert. Verarbeitet, was für Auswirkungen diese Form des Lebens auf unser Familienleben hat.
Wir haben uns dann sehr gefreut nach so vielen gemeinsamen Monaten meinen Freund Poncho in Santiago zu treffen. Kinder nehmen neue Bekanntschaften so auf, wie man sie ihnen vorstellt. Und so war es auch für sie ein freudiges Wiedersehen mit einem guten Freund.
Poncho hatte vor ein paar Jahren Krebs, ist dadurch zu Reiki gekommen und hat sein Leben in mancher Hinsicht
verändert. Er ist spiritueller geworden. Dankbarer.
Ich fand es schön, wie er so manches Mal inne gehalten und sich bedankt hat.
Oha, denkt sich vielleicht der Eine oder der Andere von Euch, das hört sich spooky an. Aber ist es das wirklich?
Ich fand es cool. Am Tisch vor dem Essen uns anzuschauen und zu sagen wie dankbar er dafür ist, dass wir
beisammen sind, dass wir das schöne Essen teilen können und dass es uns gut geht.
Das ist nicht spooky! Das kommt von Herzen.
Poncho lebt seit vielen Jahren in Santiago, hat einen fast volljährigen Sohn und arbeitet als Umweltingenieur. Santiago ist eine Großstadt mit all ihren Annehmlichkeiten und Schattenseiten. Der Winter bringt eine verheerende Luftverschmutzung mit sich. Umgeben von Bergen kann sich die schlechte Luft wunderbar halten. Wir hatten Glück im Spätsommer vor Ort zu sein und haben den Aufenthalt sehr genossen. Wir konnten mit unserem Bigfoot mitten in der Stadt in einem Park stehen. Nah am Geschehen, aber in grünem Ambiente. Es gibt viele kleine Viertel zu entdecken, nette Lokale, tolle Museen und die Umgebung ist super zum sporteln. Wir geben hiermit eine absolute Reiseempfehlung raus, an all diejenigen, die auch Städte mögen.
In den ersten Monaten sind wir viel gefahren und haben viel entdeckt, jetzt wurde es Zeit für ein bisschen körperliche Arbeit. Als Abwechslung zum normalen Reisealltag haben wir uns über die „work-away“-Website als „arbeitende“ Familie angeboten und sind für 5 Tage auf einer im Aufbau stehenden Pferderanch nähe Viña del Mar gelandet.
Wir haben Palmen gepflanzt, Tiere gefüttert, Pferdeäpfel auf den Mist geschafft, Pferde eingefangen und sind geritten.
Ich bin immer wieder beeindruckt wie cool sich die Jungs neuen Aufgaben stellen. Unvoreingenommen und mit einem Hang zum Größenwahn. Von wem sie das wohl haben?
Das sollte unser Einstieg ins gescheite Arbeitsleben sein. Geplant war danach ein längerer Arbeitsaufenthalt Ende April auf einer Schaffarm in Feuerland. Er wurde uns aber leider kurz davor von Seiten der Farmbesitzer wegen „Schwangerschaftskomplikationenen“ abgesagt. Traurig und enttäuscht erzählte ich es Poncho. Ich hatte mich wirklich sehr darauf gefreut.
„Wenn ihr in Punta Arenas seit, dann besucht doch meine Cousine Paula und ihren Mann Jorge“.
Ein Satz von Poncho, der unsere Weiterreise auf den Kopf stellen sollte.
Aber vorher kamen noch ein paar bedeutenden Stationen: die Nationalparks von Douglas Tompkins, die Gegend um Osorno, die Landschaften im Süden um Fitz Roy und Torres del Paine.
„Bevor ihr nach Punta Arenas fahrt, treffen wir uns noch bei Rod in Pucon, oder?“
Rod Walker ist einer der ersten Naturschützer Chiles. Geologe, Dozent an der Uni in Santiago, Reiki-Meister, Bergführer, Vater, Eremit, Vorreiter für Nachhaltigkeit und ökologische Lebensweise. Und Poncho seit vielen Jahren ein guter Freund.
„Un héroe silencioso“!
Ich habe ihn mit meinem Freund Poncho vor 25 Jahren schon einmal besucht. Wir haben damals an einer sehr spirituellen Exkursion durch die Araucarier-Wälder teilgenommen. Er ist mittlerweile über 70 Jahre alt und hat an Faszination nicht verloren. Er lebt seiner Lebensphilosophie konform in einem sehr minimalistischen Holzhäuschen im Wald „el Cani“, in der Nähe von Pucon. Ein Mensch, dem großer Respekt gebürt.
Wir waren 2 Tage mit ihm zusammen. Es kam uns länger vor.
Es gibt Begegnungen, die brauchen keine Aufwärmphase. Keine Erklärungen. Keine Zurückhaltung.
Das ist wie bei der alten Liebe, die nicht rostet. Du begegnest ihr wieder und wenn du Glück hast, stimmt das Gefühl sofort. Diese Wärme die dich umhüllt, weil es dir gut geht. Weil du sein kannst wie du bist. Weil du dich an Gemeinsamkeiten erinnerst. Weil du sagen kannst was dir auf dem Herzen liegt.
Und jetzt stellt Euch vor ihr könnt das mit dem Menschen teilen, der dich im Leben durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Der dieses „verliebt-sein“ spürt, akzeptiert und im besten Fall auch nachvollziehen kann.
Chile hat sich nun auch ins Herz von Stefan eingenistet.
Neben seiner Liebe für uns und für all die anderen nicht rosten wollenden alten Lieben.
Schön, dass wir dieses Verliebt sein miteinander teilen können…
Schlaumeier informieren sich vor einer Reise über alle Do´s and Don’ts, Reisezeiten und Hürden, die man überwinden muss… vor allem mit Kindern.
Besserwisser wie wir haben das natürlich auch gemacht, aber nur mit 3 Monaten Vorlaufzeit und sich darauf verlassen, dass eh alles anders kommt als man denkt. Hinzu kommt natürlich auch, dass Mann und Frau unterschiedliche Schwerpunkte haben, sowohl körperlich als auch bei den Dingen, die einem wichtig sind auf solch einer Reise.
Unsere wichtigsten Lektionen/Hilfsmittel der letzten 7 Monaten:
Einer für Alles
Kabelbinder – Dein Weg zur Glückseligkeit. Was man damit alles an-, ab-, zu- und umbinden kann ist der Hit.
Ducktape – hat nix mit Donald Duck zu tun, hält aber zusammen wie Tick, Trick und Track.
Kinder als Reisegefährten:
Endschleuniger! Haben viel Sinn für die einfachen Schönheiten am Wegesrand.
Wir trainieren zusammen „Leichtigkeit“ und akzeptieren, dass jeder ein Recht auf Veto hat.
Reiseapotheke
Pflaster/Verband Arnika und Propolis Tinktur – bestes pflanzliches Antibiotika.
Mehr haben wir bis jetzt nicht gebraucht. Ausserdem gibt es wunderbare Heilpflanzen auf lokalen Märkten.
Wichtigstes Küchen-Utensil
Schnellkochtopf! Reis, Kartoffeln, Nudeln, Linsen, Bohnen, Kichererbsen, Eintopf, Curry… Gas und Geruch sparend. Unser Herzstück – nie wieder ohne!
Backofen
Braucht es für uns nicht. Wir haben lange Zeit auf Brot verzichtet und uns dafür mit Genuss auf das erste gekaufte „Vollkornbrot“ gestürzt.
Klo im Camper
War unserer Meinung nach immer uncool. ABER, Meinung geändert! Wir lieben unser Klo. Besonders an arschkalten Tagen, auf über 5.000 Metern, wenn´s regnet, nachts um drei Uhr, im Stau….. oder wenn Montezumas Rache…. Ausserdem müssen wir mit rümpfender Nase zugeben, dass nicht alle Zeitgenossen dieser Erde ihren „Auswurf“ vergraben, geschweige denn ihr „Papieren“ verschwinden lassen. So manch paradiesischer Platz hatte ein leichtes „gschmäckle“!
Landesgrenzen
Nicht vor oder während des Wochenendes passieren. Es sei denn man hat eine Engelsgeduld.
Mechaniker
Niemals alleine am Auto schrauben lassen und ein Auge auf die ausgebauten Ersatzteile werfen. Deutsche Ordentlichkeit hilft beim Wiedereinbau. So mancher Bestandteil unseres Autos hat nach der Reparatur entweder gefehlt oder war noch übrig.
PolePole
Uhren ticken zwar in Südamerika langsam, aber dennoch schneller als in Afrika. Auch hier wird noch richtig repariert und nicht wie in unserer Wegwerfgesellschaft einfach ausgebaut und ausgetauscht. Am Ende wird scheinbar Unmögliches doch möglich gemacht.
Comida tipica
Nicht alles was landestypisch ist, muss probiert werden. Das verkokelte, auf dem Rücken ausgestreckte Meerschweinchen, welches wir mutig zu Mittag bestellt hatten, haben wir nicht runter bekommen. Zur Wiedergutmachung haben wir 2 kleine Kuschel-Meerschweinchen aus weichem Alpakafell gekauft.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Vertraue nicht den überschwenglichen Restaurantkritiken. Der von „Tacos & Tequila“ schwärmende Kritiker scheint im Tequilarausch nicht bemerkt zu haben, dass die Bohnenpampe zwischen dem labbrigen Taco in der Mikrowelle aufgewärmt wurde und soviel mit Mexikanischem Essen zu tun hatte wie Neuschwanstein mit Machu Picchu.
100% Plastikfrei
Nicht so einfach auf Reisen. Wir benutzen zwar zu 80% das Wasser aus unserem Tank, welches wir auf Camps, in Hostels oder an Tankstellen nachfüllen. In den meisten Ländern wird das Trinkwasser jedoch stark gechlort. Für Tee und Suppe haben wir doch zur Flasche greifen müssen.
Der Plastiktütenflut in Super- und auf Bauernmärkten kann man nur mit hartnäckig hingehaltenen Beuteln zuvorkommen.
Pestizide
Die großen „Pflanzenschutz-Ertragssteigerungs- aber Gesundheitsvernichtungs“-Konzerne scheinen hier noch weniger Gegenwind als in Europa zu haben. Ich kann verstehen, dass jeder Kleinbauer motiviert ist, seinen Ertrag zu steigern, aber die Tragweite dieses Pestizid-Missbrauchs wird ihnen leider nicht klar sein. Es gibt eine beeindruckende aber sehr traurige Fotoreportage über den Norden Argentiniens, der zeigt was mit uns passiert, wenn wir dem Profitgedanken ausgeliefert sind. Der PabloPiovano.com zeigt „THE HUMAN COST“ im Willy- Brandt-Haus, Berlin
Übernachtungsplätze und Nachtruhe
Vom Stadtzentrum bis zum Strandidyll und von der kargen Bergspitze bis ins grüne Dschungeltal – jeder Platz hat seine eigene Energie.
Die Prollautos in Deutschland können den „tiefer, breiter und lauter“-Autos aus Südamerika nicht das Wasser reichen. So manche Nacht haben wir schlaflos und im Takt wippend der einen oder anderen „Bum Chakalaka Gang“ um uns herum gelauscht und am nächsten Tag auf Spotify nach dem Lied gesucht. Der SüdamerikaSound ist einfach cool!
…. und so könnte es weiter gehen. Manche Erkenntnis erschließt sich erst nach ein paar Tagen oder Wochen, aber das große Ganze ist jeden Tag zu spüren: Die Welt im Kleinen ist so viel netter als wir in den Nachrichten jeden Tag aufbereitet bekommen.
Die letzten Monate sind verflogen. Wir sind viel gefahren. Durch beeindruckende Landschaften, atemraubende Höhen und schweißtreibende Tiefen und Pfade. Enge Gassen haben Stefans Fahrkönnen herausgefordert und in den unmöglichsten Situationen mussten wir einen Gang zurück schalten.
Wir sind eingetaucht in die Geschichten zahlreicher Kulturstätten verschiedener Epochen. Die vielen Fragen der Kinder, ihre Hörspiele und ihre unbändige Energie haben uns manches Mal zum Wahnsinn oder zum Lachen gebracht, aber vor allem gezeigt, dass Kinder noch viel von dem haben, was uns Erwachsene im Leben abhandenkommt. Und sie haben uns nochmal die Augen geöffnet, dass sie das Beste sind, was uns im Leben geschenkt wurde. Auch für diese Erkenntnis braucht es natürlich keine Reise, aber mit ihnen die Reise zusammen machen zu können hat uns schon so viele spontane und überraschende Situationen und sehr glückliche Momente beschert. Wir sind ihnen dafür unendlich dankbar.
Vieles was am Anfang noch etwas wurschtellig und gewöhnungsbedürftig war, läuft jetzt routiniert. Wir schlafen am Besten im Bigfoot. Wir essen am liebsten „selbstgekocht“- ob von uns oder den einfachen Straßenständen. Der Tag wird nicht mehr durchgeplant, sondern folgt seinem eigenen Rhythmus je nach Ort oder Laune. „Planänderungen herzlich willkommen“. Auch wenn nicht 100% Bio kaufen wir nach wie vor am liebsten auf den lokalen Märkten ein. Wir lieben die Stadt, Museen, Plätze, Stadtführungen, aber unser Herz schlägt am stärksten für die Berge, die Seen, das Meer …. für die endlosen Abenteuer.
Mir fehlt oft die Motivation etwas mehr Sport zu machen. Es gibt herrliche Entschuldigungen dafür: Boden zu dreckig für Yoga, Erde zu matschig zum Joggen, zu viele Leute drum herum. Ich alter Sport- und Ernährungsapostel muss an so manchem Tag mit meinen eigenen Dämonen kämpfen. Auf der Reise, wo wir uns immer wieder neu orientieren müssen.
Unsere Ernährung hat sich drastisch verändert: von Land zu Land, schleichend aber wieder in unsere alte Richtung. Vegetarisch. Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, viel roh. Kaum konvenient. Weil es einfach keinen Quark oder Joghurt ohne Zucker gab, haben wir fast alle Milchprodukte eliminiert – Butter, ein bisschen Käse und Kaffeemilch sind übrig geblieben. Nach den kilometerlangen Hühnerfarmen haben wir die Eier stehen lassen und die Hühner vom Speiseplan gestrichen. Schwein war sowieso schon tabu. Wir haben uns auferlegt nur den selbstgefangenen Fisch zu verspeisen. Leider sind unsere Angelversuche bis jetzt ergebnislos geblieben und nach wie vor ist unklar, wer bei Erfolg dem Fisch den Gar ausmacht. Wir sind nicht pedantisch. Jeder entscheidet für sich selbst im Restaurant, beim Einkaufen entscheidet die Chefin. Wir haben eine drastische Veränderung gemerkt. Es geht uns so gut wie nie zuvor. In Bolivien und Peru haben wir vor allem die Vielfalt an Früchten und frischen Gemüsen in vollen Zügen genossen. Auf dem einen oder anderen Fischmarkt haben wir dennoch eine frische Ceviche genossen und mit Schrecken zugeschaut, wie den riesen Krabben bei lebendigem Leibe die Eingeweide rausgezogen werden. Noch nie in unserem Leben haben wir gemeinsam so viel über Tiere, Respekt, Ernährung und Umweltschutz geredet und gelernt. Ich bin mir sicher dass sich zu hause wieder ein paar Gewohnheiten ändern werden, individuell, aber die richtige Einstellung haben wir uns auf natürliche Weise erarbeitet. (Stefan freut sich schon auf ein gescheites Asado in Argentinien….)
Hätten wir einen Hänger, er wäre voll mit Strassenhunden und Katzen, die uns mit flehenden Augen angeschaut haben. Stefan hat uns in mancher Situation zur Vernunft gebracht, sonst würden wir auf alle Fälle mit einer kleinen Katze aus Santiago und einem Welpen aus Hornopiren nach Hause kommen.
Mittlerweile sind wir in Chile und geniessen das Land in vollen Zügen. Ich sag nur: Alte Liebe rostet nicht…
Möchtest du vielleicht auch auf eine längere Reise gehen? Alleine oder mit Deiner Familie? Dann überleg dir schon mal in welcher besonderen Mission DU oder ihr unterwegs sein wollt. Einfach so mal ein Jahr Auszeit nehmen, kann jeder. Heutzutage sollte Dein Vorhaben mindestens einen Superlativ beinhalten, wenn Du nicht vegan, öko, eco, fair oder nachhaltig unterwegs sein kannst, dann aber doch bitte mit ein paar anderen USP´s !
Es gibt schon komische Dinge die einen unter Druck setzen können. Am Anfang der Reise war es ein bisschen das „wir könnten noch lässiger sein“- Gefühl. Ihr versteht nicht wovon ich rede? Ich will es Euch gerne erklären. Wenn ich dabei ein bisschen ironisch oder auch sarkastisch werde, dann verzeiht mir meine Ausdrücke – auf dem Weg zur Erkenntnis sind alle Mittel recht.
Du planst eine Reise. Fühlst dich schon wie ein Hero, weil fast alles so klappt wie geplant. Startest mit deinem „Humboldt Gefühl“ am anderen Ende der Welt und dann mit zunehmender Reisedauer und kunterbunten Begegnungen hast du das Gefühl einer Belehrung. Oder einer Erkenntnis, dass es für alles krasse Steigerungen gibt oder genauer gesagt, dass wir die absoluten Spießer unter den Abenteurern sind.
Während wir anfänglich schon zu viert mit dem Platz, der Nähe und dem neuen Alltag zu kämpfen hatten, startest DU am besten direkt mit doppelt so vielen Kindern, halb so viel Platz und unendlich viel Zeit. „Slow travelling“ und „easy going“ vom Feinsten heisst die Devise.
Zu sechst im 30 Jahre alten VW Bus mit Hund und Katze ist wirklich das Mindestniveau für einen hippen Nomaden. Und wenn Du nicht schon auf Rawfood oder Sonnenlicht umgestellt hast, dann kochst du als Flexi oder Paleo auch nicht mehr auf einem kleinen zwei Flammen Gasbrenner, sondern schleppst direkt deinen kompletten Herd inkl. Backofen mit dir rum. Den kannst du dann nämlich an besonders geilen Plätzen in die aus Treibholz gezimmerte Außenküche integrieren.
Ach so, das machst du natürlich nur, wenn du nicht nur 1 Jahr unterwegs bist. Nein, wer was auf sich hält, der reist mindestens fünf am besten gleich zehn oder Königsklasse, 16 Jahre durch die Welt und bleibt dann auch mindestens ein paar Monate am gleichen Fleck, damit du neben der offiziellen Landessprache auch den lokalen Dialekt inhalieren kannst.
Die Kinder werden natürlich nicht mit einer Pfurz normalen Schule belästigt. Waldorf war schon zu Hause Mindestniveau, beschult wird heute „on the road“ von der eigenen unendlich allwissenden und immer die Ruhe bewahrenden Über-Mutti, die neben dem veganen Mittagessen, im Lotussitz auch noch den Traumfänger und die Bettdecke aus BioHanf klöppelt. Wenn du aber deine Kinder mit ihren wirklichen Begabungen in Kontakt treten lassen möchtest, dann wirst du sie auf alle Fälle „unschooled“ lassen, denn im Grunde genommen ist alles andere nur Diktatur.
Was, du machst kein Yoga und trinkst noch Alkohol ? Tja, dann wäre es doch Zeit für einen Therapeuten oder am besten gleich ab in die Klinik.
Ach was rede ich da, wichtig sind doch einfach nur die tollen Momente, die man auf einer Reise gemeinsam erleben, besprechen und sich danach noch einmal gemeinsam über den Diaprojektor anschauen kann… Wenn ich gekonnt hätte, so hätte ich bei den Iguazu Wasserfällen gerne dem einen oder anderen Touri seinen Selfiestick wahlweise übers Geländer geworfen, quer durchs Gesicht gezogen oder rektal hinten reingeschoben. Da waren mir doch vor 10 Jahren die leise kichernden Asiaten mit ihren Regenschirmen wirklich lieber.
Martin Parr hätte seine helle Freude an den absurdesten Situationen gehabt: sich in Pose schmeißende, voll aufgepimmte den anderen Besuchern ihre Ellenbogen in die Flanken rammende Sightseeing Junkies jeglicher Couleur. Anfänglich trotteln die Kollegen noch mit herunterhängenden Mundwinkeln vom Parkplatz zum Ort des Geschehen, um dann mit fast erschreckend perfekt eingespielter Performance Augen, Nasenlöcher und Münder auf zu reißen, als wäre ihnen gerade ein Schreck durch die Glieder oder ein Skorpion an den zusammen gekniffenen Hintern gesprungen. Das eine oder andere Mal hätte ich fast „do you feel allright?“ aus lauter Sorge gesagt. Wenn der Bühnenreif inszenierte Auftritt abgehakt ist, trottelt man wieder gemeinsam mit seinem im Regenmantel eingewickelten Chihuahua und vor Erschöpfung nun erschlafften Mundwinkeln zurück. Lässt dann noch ein bisschen Müll hier und da fallen und schnippt den Zigarettenstummel mit Aussicht auf einen Waldbrand ins trockene Unterholz. Wichtig ist vor allem, dass die Pseudo-Schauspieler alles sofort online stellen und sich den 0-8-15 Abenteuer-Spießern somit voll in den Weg und in die Sicht stellen.
Die von mir gerade beschriebenen Mitmenschen, waren keineswegs die Weltenbummler aus dem Guinessbuch der Rekorde. Das waren nur die 0-8-15 Touristen.
Der moderne Weltenbummler führt sich so natürlich nicht auf. Er bewertet nicht, ist totally relaxed und findet alles amazing, ist blown away und verweilt nur kurz, weil er eh schon alles vom Top Secret Platz auf der anderen Seite gesehen hat. Das hat er dir Abenteuer-Spießer natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen gegeben, weil du arme Sau das wirkliche Schauspiel leider verpasst. Er fährt aber auch ein Fahrzeug mit dem er im 90 Grad Winkel am Berg parken kann, um dort von seinem Roof Top Tent mit seinen 6 Kindern und Hund und Katze mit der GoPro im selbstgebastelten Flying Fox hinter die Wasserfälle fliegen kann.
Hatte ich schon von solchen Fahrzeugen berichtet?
Wenn du, von You tube Videos angeleitet, nicht mindestens einen 30 Jahre alten VW Bus namens Samba oder Bulli pinterestmässig perfekt ausbauen kannst, dann entscheide Dich bitte für einen 7,5 Tonner – drunter geht nix. Wahlweise mit schalldichter Kabine, 3 Ersatzreifen und mindestens 3,5 Meter Höhe. Solarpaneele, Biotoilette und Fußbodenheizung sind Standard. Wenn Du völlig autark sein willst, dann hast du auch noch dein „homegrown“ und deine Wasch- und Spülmaschine dabei.
Manchmal kann ich mich dem Gefühl nicht verwehren, dass man heute kaum noch „gut genug“ ist, weil es wirklich immer jemanden gibt, der alles besser oder toller kann oder macht. Natürlich war das schon immer so. Und auch die Tatsache, dass man sich heute online und überall im internationalen Vergleich sieht, ist keine Neuigkeit. Dennoch finde ich, obwohl oft selbst genau gleich agierend, den Weltenbummler und digitalen Lifestyle ein bisschen bizarr.
Wir sind auf Reisen, aber dennoch nicht wirklich weg. Wenn ich früher noch toll fand, für den Rest der Familie verschollen zu sein, weil von mir für lange Zeit kein Signal ausgesendet wurde, so mag ich heute den zigsten Werkstattaufenthalt per WhatsApp mit einem Kommentar an meine Geschwister senden und am liebsten öfter mit den Eltern telefonieren. Vielleicht heute mehr aus der Sorge heraus, dass es ihnen gut geht.
Nur meine Mutter schafft es noch sich dem zu entziehen und ist nur per Postkarte zu erreichen.
Mami, wenn du das bei Deiner Freundin (die Internet hat) liest: es geht uns gut!
Oft fühle ich mich außen vor, obwohl ich mitten drin bin. Meistens fühle ich mich jedoch mitten drin, obwohl ich wahrscheinlich völlig außen vor bin. Zum Glück ist mir der letzte Zustand dann nicht bewusst.
Wenn ihr jetzt das Gefühl habt, dass ich einen an der Klatsche habe so einen unmöglichen Text zu schreiben, dann habt ihr zu 100 % Recht. Nach zwei weiteren Tagen in der Werkstatt, einigen Mückenstichen an den Beinen und 2 Caipirinha intus, kann man sich so etwas Unmögliches, im knappen Bikini ganz ungeniert am Pool sitzend, von der Leber schreiben. Vielleicht habe ich auch bei dem einen oder anderen Detail „etwas“ übertrieben. Ich kann euch aber versichern: Es hat herrlichen Spaß gemacht diesen Text zu schreiben.
PS: Sollte sich der eine oder andere hier zu Unrecht angesprochen fühlen, dann nehmt es bitte mit Leichtigkeit und einem Augenzwinkern. Vielleicht schwingt auch unterschwellig ein bisschen Neid und Bewunderung bei meinen Beschreibungen mit. Auf alle Fälle will ich damit zeigen, wie verrückt die Menschen sein können, die man auf so einer Reise trifft und gleichzeitig wie viel Spaß es macht, die Welt mit wachsamen Augen zu bereisen.
Die Brasilianer machen uns das Reisen leicht. Die Gelassenheit, ihre Freude, die überall an zu treffende Hilfsbereitschaft und das immerwährende „bom dia“ und „tudo bem“ geben uns ein schönes Gefühl des „Herzlich Willkommen“ sein. Der Süden des Landes soll das typische Brasilien des Norden und Westen nicht ganz so wieder spiegeln wurde uns gesagt, und das was wir auf diesem Abschnitt der Reise begegnen, bestätigt diese Aussage gründlich.
Wie es der Zufall will, erreicht uns unser Freund Clemens aus Hamburg mit der Aussicht auf ein witziges Projekt mit seinem Freund Michi just zur rechten Zeit. Wir machen spontan auf dem Weg nach Norden einen Schwenker ins Landesinnere.
Wir staunen nicht schlecht als uns Pension Oma Helga und Restaurant Schroeder am Ortseingang von Pomerode begrüßen. Um 1850 kam eine Gruppe von 17 Pionieren, um das Land zu besiedeln, welches dem deutschen Pharmazeuten Herman Bruno Otto Blumenau aus Hasselfelde zugebilligt wurde. Die neuen hellhäutigen Bewohner waren so anständig Leut, dass sie auf den damals noch üblichen Einsatz von Sklaverei verzichteten. Auch Reisende mit Sklaven durften nur 24 Stunden in der Stadt verweilen. Sowohl der Start als auch ihre Geschichte war für die neuen deutsch-brasilianer nicht immer einfach gewesen. Ihre Traditionen, Tugenden und Sprache pflegend, haben sie nicht nur an diesem Fleck sondern im gesamten Land ihre sicht- und hörbaren Spuren hinterlassen. Die Stadt weist heute eine der höchsten Lebensstandards in Brasilien auf und hat neben dem zweit größten Textilpark auch eine erfolgreiche Glasindustrie.*
Die erste Nacht verbringen wir bei Michi zu Hause mit einem herrlichen Blick über die Stadt. Felix, der zuerst einmal das stille Örtchen besuchen will, fragt mich mit für alle hörbarer Lautstärke: „Mami, meinst du die Klos sind hier sauber?“ So eine für uns sonst essentielle Frage kann man mitunter nicht unterdrücken aus Respekt vor anderen! Da sowohl der Nachmittagskaffee, als auch das Frühstück herrlich brasilianisch süß war und der Abend mit einer ausgiebigen Wii Session und Pizza mit Schokosauce vergoldet wurde, werden die Jungs sich wahrscheinlich bis an ihr Lebensende an diesen Aufenthalt mit einem Lächeln erinnern.
Vor 20 Jahren kam Michi mit seiner Rockband nach Brasilien, wurde vom Erfolg überrollt und konnte sich dem Charme der Brasilianer nicht verwehren und blieb. Hysterisch kreischende und Hüften schwingende Fans in ausverkauften Hallen tun der Musikerseele auf alle Fälle besser, als vor 5 Leuten in der muffigen Vorstadt Kneipe in Deutschland zu singen.
Damals hatte Michi noch eine Mähne wie Mick Hucknall von Simply Red und die heissen Groupies ließen nicht lange auf sich warten. Die Freundin derjenigen, die sich am meisten für ihn interessiert hat, wurde seine Frau und so begann seine eigene deutsch-brasilianische Geschichte.
Heute ist Michi neben seinem Marketingjob mit seiner deutsch-brasilianischen Combo auf dem größten Oktoberfest außerhalb Deutschlands immer noch ein Highlight. Inklusive der fast 340.000 Einwohner von dem Nachbarort Blumenau, wovon sich um die 40 % immernoch deutschstämmig fühlen, kommen jedes Jahr ca. 1 Millionen Besucher. Bei 30 Grad in Lederhosen werden fast 700.000 Liter Bier und 28.000 Teller Eisbein mit Sauerkraut konsumiert. 17 Tage lang tagt das Spektakel und wer im Dirndl erscheint zahlt nur den halben Eintritt.
Michis neue Band „Herr Schmitt“ lässt alljährlich neben 30 anderen angesagten Bands z.T. aus Deutschland tausende von Zuschauer auf deutsch-brasilianische Volksmusik abgehen. Hierfür sollte spontan ein kleines Video gedreht werden, was Stefan als witzige Ablenkung vom Reisealltag gerne in Angriff genommen hat.
Auf dem höchsten Gebäude von Blumenau wird im Penthouse mit Pool das „tsumba do aleman“ – Video gedreht. Trotz Bewölkung und der Absage des 2. Kameramanns ist ein tolles Video entstanden.
Felix der sich eigens zum DJ dieser Reise ernannt hat, tanzt und trällert nun nicht mehr zu Ed Sheerans „Shape of you“ sondern, schmettert laut mit vom Video abgeschauten Sänger Posen das „Ich liebe deinen Körper, mir fehlen die Wörter…“!
Am ersten Abend sind wir zur Einstimmung mit Michi und seiner Frau in die ortsansässige Brauerei Schornstein gefahren. Das Bierbrauen hat hier einen hohen Stellenwert und neben der Marke Schornstein, gibt es noch weitere Marken die u.a. Eisenbahn und Opa heißen. Stefan fotografiert seitdem nur noch Bierflaschen und jede fotografierte Flasche muss auch probiert werden. Mitunter fehlt vor lauter Bier im Kühlschrank der Platz für mein Gemüse. Die Flaschen mit drehbarem Verschluss statt Kronkorken stellen sich als sehr ungünstig für die Safari raus, da sie sich bei starker Buckelpiste eigenmächtig ihres Verschlusses entledigen und meine Zucchini und Möhren in Biersuppe schwimmen lassen.
Video-Nachbesprechung findet im „Torten Paradies“ statt. Apfelstrudel, Käsekuchen, Schwarzwälder Kirsch, alles was ein deutsches Herz zum gepflegten Kränzchen schneller schlagen lässt.
Ich habe im Ausland schon viele Immigrations-Geschichten in x-ter Generation erlebt, ob ursprünglich durch Kolonialisierung oder aus Not, die Gründe waren immer sehr individuell. Was alle diese Geschichten gemeinsam haben ist, dass die Familien ihre eigenen Traditionen über viele Generationen hinweg kultiviert haben. Identität besteht aus vielen Facetten und hinterlässt man nicht einfach. Die wenigsten Menschen verlassen ihre Heimat, um sich ihrer eigenen Identität zu entledigen. Deswegen ist es meiner Meinung nach wichtig, nicht immer nur von Anpassung und Integration zu sprechen, sondern vor allem auch einen Platz zu bieten, der tolerant genug ist mehrere Identitäten nebeneinander zu erlauben. Es gibt genügend positive Beispiele dafür in der Welt.
Nach 3 Tagen Deutschunterricht verbringen wir einen herrlichen Tag in einer Therme. Bei 35 Grad im Schatten im 30 Grad warmen Wasser zu baden ist auch mal was Neues, vor allem wenn 2 Leguane bewegungslos neben der Rutsche liegen.
Wir haben uns gegen Rio de Janeiro entschieden, um weder im Pantanal noch in den Anden die optimale Reisezeit zu verpassen. So ziehen wir Richtung Westen weiter und durchqueren auf dem Weg zu den Iguazu Wasserfällen die Kornkammer Brasiliens. Soweit das Auge reicht Landwirtschaft: Reis-, Weizen-, Mais-, Soja- und schließlich Zuckerrohrfelder. Die Größe der Felder, die Art der Landmaschinen, und die Vielzahl der Hühnerfarmen lassen erahnen, dass hier nicht ökologisch angebaut oder Eier der Güteklasse 0 produziert werden.
Aber das ist ein anderes Thema.
(*Quelle: Dumont Brasilien Reiseführer)
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