Kann man sich näher als nah kommen?

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Feb 11, 2018

Es passiert jeden Tag viel. Begegnungen. Landschaften. Unterhaltungen. Und dazwischen sind wir. Jeder für sich. Wir alle zusammen. Manchmal, wenn auch selten, hängen wir unseren Gedanken nach. Es gibt viel zu erfragen, zu erkunden, zu lesen. Wir sind hier zusammen und zusammen gehen wir durch dick und dünn. Und auch wenn ich alle manchmal zum Kuckuck wünschen wollte, so bin ich doch beeindruckt und auch stolz darauf, wie sehr wir es schaffen, alles so friedlich zusammen zu meistern. Vor allem vor dem Hintergrund, dass so manch eine Situation nicht einfach auszuhalten ist. Und von so einer will ich jetzt erzählen. Zwischen diesem Ereignis und heute liegen ja Wochen,  Bildwelten, Emotionen, aber diese eine Situation hat uns alle gleichermaßen betroffen.

Wir haben einen wunderschönen 3-Tages-Trek von La Paz ausgemacht. Der Takesi-Trail. Landschaftlich ein Traum. Leider konnten wir keine Mulis mieten und mussten unsere schweren Rucksäcke inklusive Zelt, Isomatten, Schlafsäcken und Essen selbst tragen. Rauf auf 4.600 Meter. Runter durch beeindruckende Wiesen, auf aus Stein gepflasterten Inkapfaden und an Seen vorbei.


Fernab von der Zivilisation oder genauer gesagt ein paar Fußstunden entfernt. Nachts mit Regen und Schnee. Stefans Geburtstag um 3.30 Uhr nachts mit Stollen und Lampion gefeiert. Bisschen gefroren.



Tapfer gelaufen. Stundenlang bergab. Eine tolle Familie kennen gelernt mit 4 Jungs, die irgendwo am Hang wohnen. 3 Stunden Fußmarsch bis zum nächsten Ort entfernt.

Mit Muskelkater am letzten Morgen aufgewacht. Fertig, aber glücklich. Schmerzende Schultern, aber glücklich.

Und dann wollten wir am nächsten Nachmittag einfach nur diesen einfachen Bus nach La Paz zurücknehmen. Eine andere Möglichkeit hätte es nicht gegeben. Anfänglich haben wir noch gelacht über die harten Federn. Luis, Felix und ich in der letzten Reihe, Stefan auf dem Ersatzsitz davor nebst 12 anderen Erwachsenen und einem weiteren Kind.

Wie gesagt, am Anfang haben wir noch darüber gescherzt, dass es eine holprige Fahrt wird. Aber kurz danach ist uns das Lachen im Hals stecken geblieben und unser Leben am seidenen Faden zum Absturz bereit gewesen. An Stefans Gesicht konnte ich erkennen, dass es ihm auch nicht zum Scherzen zumute war.

Die Straße: unbefestigt, schottrig, ohne Leitplanken. Max. 1,5 Autos breit.
Links der Berg, rechts ein paar hundert Meter tiefer Abgrund.

Der Fahrer: auf der Flucht. Mit rutschenden Reifen, stets mit dem Hinterrad knapp am Abgrund vorbei.
Schnell. Waghalsig. Lebensmüde.

Selbst Luis, der als Kind ja oft die Gefahr noch nicht abschätzen kann, sagte, dass er totale Angst hätte. Wahrscheinlich hat er an meinen harten Griff um seine Schultern gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt wenige Momente in meinem Leben, wo ich wirklich richtig dolle Angst hatte, aber diese Stunde Fahrt am Rande des Abgrundes hat mich fertig gemacht. Felix hat sich auf meinen Schoss gelegt, um nicht rauschauen zu müssen. Stefans Gesicht war stark gestresst. In einem gefassten Moment habe ich von hinten nach vorn geschrien, dass er verdammt nochmal langsamer fahren soll. Und nachdem sich auch mein Vordermann zu mir umgedreht hat, um mir zu signalisieren, dass es leider immer so rasant zu geht auf diesen Fahrten, kam mir auch wieder in den Sinn, dass uns Gert, der deutsche Stadtführer aus La Paz, von diesen abenteuerlichen Fahrten berichtet hat. Auch in den Reiseführern wird davor gewarnt, weil es immer wieder zu schlimmen Unfällen kommt.

Das alles hatten wir einfach vergessen.

Und dann habe ich nochmal meinen ganzen Mut zusammengenommen und den Fahrer angeschrien, er soll jetzt endlich langsamer fahren, weil er für 12 Erwachsene und 3 Kinder die Verantwortung trägt. „Wir haben hier hinten Angst, verdammte Scheiße“!

Und dann hat er sich besonnen. Die Fahrt entschleunigt. Dann kam endlich die Asphaltstrasse.

„Selbst schuld, wenn ihr Euch auf so ein Abenteuer einlasst….“, hör ich es da aus dem Universum rufen. Klar, wissen wir auch, aber damit hatten wir einfach nicht gerechnet. Es hätte auch keine andere Möglichkeit der Rückkehr gegeben.

Eines steht fest: wir steigen nie mehr in so einen „fucking“ Kleinbus ein.

Dieses Erlebnis und dass wir in dem einen Moment alle gleich gefühlt haben, hat uns noch ein bisschen näher als nah gebracht. Ohne Angst und Scham haben wir geweint, uns gehalten, die Augen zusammen gekniffen vor Angst und uns vor Erleichterung nach dem Aussteigen umarmt.

Heute, am Tag an dem ich diesen Beitrag schreibe, fast 2 Monate später, erfahren wir, daß oberhalb von Lima ein Bus mit 48 Menschen in den Tod gestürzt ist. Auf den Strassen Boliviens und Perus säumen Kreuze die Strassenränder. Nicht wie bei uns in Bayern mal eines oder zwei. Zumeist sind es mehrere, die davon zeugen, dass hier wieder ein Bus über die Klippen gesprungen ist, ein Fahrer in einer unübersichtlichen Kurve überholt oder eingeschlafen ist. Und wenn ich jetzt noch erzähle, dass wir vor 4 Wochen ein Erdbeben der Stärke 7,3 in unmittelbarer Entfernung miterlebt haben, dann könnte man wieder sagen: „Was fahrt ihr aber auch in solche Länder?“.

Im Nachhinein können wir darüber lachen. An dem Tag bin ich blass und mit schlotternden Knien aus dem Bus ausgestiegen.
Fast so wie damals in Costa Rica, als ich mit 2 Freunden und einer kleinen Propellermaschine notlanden musste. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir in Europa an so vielen Stellen so unbekümmert hätten übernachten können. Abgesehen von dem Fahrverhalten, sind uns die Bolivianer, die Peruaner und die Chilenen sehr wohlgesonnen gewesen. Unglaublich Kinderfreundlich. Hilfsbereit. Interessiert.

Das Abenteuer geht weiter!