Der Tod kam, auch wenn ich ihn erwartet hatte, mit großer Wucht. Er hat mich gelähmt, zum Weinen gebracht, hat Erinnerungen an gute und nicht so gute Zeiten im Gepäck gehabt, mir Fragen gestellt und Antworten gegeben. Vor allem aber hat er mir wieder gezeigt wie endlich unser Leben ist und dass es nichts aufzuschieben gibt.
Ich wollte eigentlich über unseren Alltag in Bolivien schreiben. Unsere Zeit in Sucre. Bunte Bilder, fröhliche Gesichter, pralle Früchte und Gewusel auf den Märkten.
Da wir aber auf dieser Reise, wie in Deutschland auch, einen Alltag haben, der nicht immer nur rosig ist, möchte ich dieses für uns einschneidende Ereignis mit Euch teilen. Der Tod ist somit auch Teil unserer Reise. Unseres Alltags. Und er betrifft uns alle. Jeden etwas unterschiedlich. Meine Stiefmutter Waltraud, Stefans Schwiegermutter, Felix und Luis seine Oma ist gestorben. 2 Wochen ist es her. Und es hallt nach. Das wird es noch lange tun.
43 Jahre haben wir uns begleitet. Eine lange Zeit.
Sie ist an Krebs erkrankt und dank ihrer immer optimistischen Haltung hieß es lange: sag allen es wird gut. Im Sommer war dann klar, dass es keine Hoffnung mehr auf Heilung gibt. Unsere Verabschiedung vom letzten Familienfest vor unserer Abreise, sollte die letzte sein. Ein letzter bewusster Kontakt. Die letzte Möglichkeit, persönlich anwesend, etwas zu sagen. Wie macht man das „sich verabschieden“? Es gibt keine Antwort darauf, das muss jeder für sich entscheiden. Alles ist richtig: Ein Gespräch. Eine Umarmung. Ein Dankeschön. Schöne Worte für die letzte Reise. (Diesen Satz hat mein Bruder gesagt und ich finde ihn sehr zutreffend).
2 Tage vor ihrem Tod haben wir noch telefoniert. Ein letztes Mal uns angeschaut. „Ich habe ein erfülltes Leben gehabt“, hat sie gesagt. Für uns bleibt eine Lücke. Weil sie einfach nie wieder zurückkommt. Auch wenn wir darauf vorbereitet waren, auch wenn sie friedlich eingeschlafen ist. Mein Vater bei ihr sein konnte. Der Tod bleibt ein Mysterium. Ein irreversibles Ereignis.
Eine Erfahrung, die wir im Leben machen, die uns immer wieder zeigt: es gibt nichts auf zu schieben. Nicht das, was wir sagen wollen. Nicht die Umarmung, die wir uns nicht getraut haben zu geben. Nicht das Gespräch, welches wir schon lange führen wollen. Nicht die Reise oder den Ausflug, den wir schon lange machen wollen. Nicht die Entschuldigung, die schon längst überfällig ist. Nicht der Moment für mich, den ich so dringend brauche.
Mein einschneidenstes Erlebnis zum Thema Tod ist mir vor vielen Jahren widerfahren und erklärt noch besser, warum ich über diese Dinge schreibe. Während eines Aufenthaltes bei meinen Eltern in Krefeld, erzählte mir meine Stiefmutter, dass es der Mutter des besten Freundes meines Bruders nicht gut geht. Sie war an Krebs erkrankt und lag im Krankenhaus. Ein Impuls. Ein Bauchgefühl. „Frag sie doch mal, ob ich sie besuchen darf. Oder ist das komisch, weil ich sie jetzt schon so viele Jahre nicht mehr gesehen habe?“ Für sie war es nicht komisch. Sie war einverstanden.
Es war für mich Herz zerreißend. Kaum auszuhalten. Sie im Bett liegen zu sehen. Diese vorher im Leben so pralle, lustige Person, mit dem einnehmenden Lachen. Eine Frohnatur. So habe ich sie kennen gelernt. Nun war sie durch die Krankheit stark gezeichnet. Ihr Mann war bei ihr. Irgendwie habe ich mich unwohl gefühlt. Aber das war mein Problem. Sie hat gelächelt. Sie hat sich gefreut. Sie hat sich nicht unwohl gefühlt. Was gibt es da zu sagen? Nix, außer ihr auch mein Lächeln zu schenken. Kurz vor ihrer letzten Reise. Auf dem Weg nach draußen begegnete ich ihren 3 Kindern. Und soweit ich mich richtig erinnere, ist sie in dieser Nacht gestorben.
Es gab nichts auf zu schieben. Nur diesem Impuls zu folgen. Ohne Wenn und Aber. Manchmal müssen wir uns zurücknehmen. Das Leben aushalten. Und noch dieses eine Lächeln verschenken.
Es war der Abend bevor meine Omi gestorben ist. Der Abend vor unserer Abreise nach Paris. Lange geplant. Dann wie immer der Vorabend-Packstress! „Ich fahr doch nochmal zur Omi ins Krankenhaus nach Starnberg“. Wieder ein Bauchgefühl. Sie lag schon palliativ. Aber wir hatten schon so oft geglaubt, dass es vorbei sei und immer wieder hat sie sich berappelt. „Frau Winterstein, haben sie noch einen letzten Wunsch?“ Da hat’s mir schon die Kehle zugeschnürt. Was? Letzter Wille oder was? „Ein Bier bitte“ sagt meine Omi mit einem Fuß schon in den ewigen Jagdgründen. Unverbesserlich! Mit der Schnabeltasse hat sie noch ein paar Schlückchen Bier im Liegen getrunken. Und obwohl ich die Situation absurd fand, hatte ich das Gefühl, dass es jetzt an der Zeit wäre für die letzten Worte. Es war furchtbar schwer, sich für all die schönen Jahre zu bedanken. Ist das nicht auch absurd? Es sollte mir doch leichtfallen. Ist es auch, weil es ein Bedürfnis war, aber die Situation war nicht so wie ich sie mir vorgestellt hatte. Auf dem Nachbarbett saß eine Frau mittleren Alters, die sehr unsensibel laut in ihr Mobiltelefon schrie, dass sie morgen entlassen werden würde. Das war eigentlich absurd.
Aber gibt es im Leben nicht immer diese Situationen, die wir uns „eigentlich“ anders vorgestellt hatten? Umstände, die wir gerne als Vorwand dafür nehmen, warum wir jenes oder welches nicht gemacht haben. Manchmal werden wir es bereuen. Manchmal vielleicht nicht.
Menschen, die auf Palliativstationen arbeiten, erzählen oft davon wie klar, direkt und ehrlich die Menschen kurz vor ihrem Tod sind. Meine Schwägerin und die Mutter einer Schulfreundin erzählten mir davon. Hochachtung vor den Menschen, die diese Arbeit leisten. Sie berichteten auch davon, was manche bedauerten. Es hat mich unglaublich beeindruckt. Aber schade, dass es erst am Ende des Lebens ist, oder? Wäre es nicht schön, wenn wir uns schon zu Lebzeiten öfters trauen würden? Wenn wir die uns lieben Mensch teilhaben lassen an unserem Leben? Wenn wir darüber reden können, was uns auf dem Herzen liegt? Ohne Eingeschnappt sein und ohne Ressentiments?
Wir alle haben ein Bauchgefühl. Diesen Impuls. Die Möglichkeiten. Jeder wird sich an mindestens eine Situation aus dem Alltag erinnern. Wir wollten etwas tun. Waren dabei es auf zu schieben. Haben es dann doch gemacht. Wie gut ging es uns danach!
Und so hat uns diese Nachricht hier in Sucre in Bolivien per Facetime erreicht. Da ich mit meinen Eltern schon vor der Reise über diesen Moment gesprochen hatte, bin ich hier geblieben und nicht zur Einäscherung geflogen. Auch wenn es mir schwerfällt nicht dabei zu sein. Aber ich weiß meinen Vater in liebevoller Gesellschaft meiner Geschwister und unserer großen Familie. An dieser Stelle möchte ich einen Dank an meine Eltern aussprechen. Sie sind schon immer sehr offensiv mit dem Thema Tod umgegangen. Mir persönlich hat diese Auseinandersetzung sehr geholfen.
Ich kann verstehen, wenn viele nicht gerne über dieses Thema sprechen wollen. Aber der Tod ist nunmal Teil unseres Lebens. Er gehört zum Alltag. Je älter wir werden, desto mehr.
Und wie es im Leben manchmal so spielt, passieren die Dinge auf einmal. Und neben der Freude, gesellt sich das Leid, damit daraus wieder etwas Schönes entstehen kann.
Seit 3 Wochen sitzen wir in Sucre…fest! Das Auto macht keinen Piep mehr. Wir campen im hinteren Teil einer Auto/Motorrad-Werkstatt. Man könnte auch sagen „auf dem Schrottplatz“. Eigentlich stand nur eine harmlose Reparatur an. Danach und 3 Mechaniker weiter ging gar nichts mehr. Ob es nun Zufall war oder ein von ihnen verursachter Kurzschluss im Fahrzeugcomputer ist am Ende auch egal. Wir sitzen auf alle Fälle fest.
In der ersten Woche standen wir permanent auf Abruf. In Abwarte- und Hinhalte-Position. Bolivien-freundlich ausgedrückt.
In der zweiten Woche waren wir verzweifelt. In Schockstarre wegen der Nachricht vom Tod meiner Stiefmutter. Unpässlich zueinander. Leicht gereizt. Erst E.T. konnte uns an einem lauschigen Wochenendabend mit Popcorn aufmuntern.
Und dann ging es bergauf. Aber das erzähle ich im nächsten Bericht.
Wenn ich an den Ärger mit den Mechanikern denke und unsere Verzweiflung der vorletzten Woche, dann hab ich ein Lächeln auf dem Gesicht. Weil im Nachhinein alles leichter erscheint.
Wenn ich an meinen Vater denke, der trotz des großen Verlustes, seinen gute Laune nicht verliert und für uns immer noch ein Lachen auf dem Gesicht hat, dann schicke ich ihm auch ein Lächeln. Ein Lächeln für meine Stiefmutter. Ein Lächeln für meine Geschwister und den Rest der Familie, die heute gemeinsam Abschied nehmen. Ein Lächeln für all meine lieben Freunde, die mich in meinem Leben begleiten. Ein Lächeln für meine tollen Freundinnen. „Ihr Lieben, ich vermisse unsere Mädelszeiten sehr.“ Ein Lächeln für den Alltag, der mich manchmal wahnsinnig macht. Auch auf dieser Reise.
Und ein Lächeln, weil ich ihn gefunden habe. Den Moment für mich.
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Clemens
13/12/2017 at 21:05Wo seid Ihr? Im Gedanken gerade bei Euch…
Clemens
22/11/2017 at 19:23Liebe Kristina, so schrecklich der Anlass deines Berichts ist, so wahr, so ergreifend und so schön ist er geschrieben. Ich bin ein Fan Deiner Erzählungen, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass du zum Tod Deiner Stiefmutter nicht schreiben musst. Mein und unser ganz herzliches Beileid, wir sind im Gedanken bei Dir und natürlich auch bei Euch allen. Große Umarmung und fester Drücker von uns aus Hamburg.